Immobilien Zeitung: Herr Wiese, Sie sind Architekt und sagen, die Immobilienbranche habe ein Riesenproblem beim „S“ in ESG. Damit meinen Sie aber nicht in erster Linie den bezahlbaren Wohnraum, auf den dieser Buchstabe oft bezogen wird.
Walter Wiese: Nein, ich meine den Aspekt des Sozialen in einer umfassenderen Weise. Dazu zählt der mangelnde Respekt vieler Unternehmen gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Wer wenig Bestätigung und Ermutigung gibt und immer nur erwartet, dass die Angestellten liefern, macht sich langfristig sein Unternehmen kaputt.
IZ: Auf der anderen Seite gibt es auch Mitarbeiter, die unrealistische Ansprüche haben.
Wiese: Ja, die gibt es. Wenn Mitarbeiter in der jetzigen Marktlage, was ich schon erlebt habe, 25% realen Lohnzuwachs fordern, dann muss man sich schon fragen, wo das herkommt. Wahrscheinlich ging es der Branche zu lange zu gut. Das hat bei manchem eine falsche Vorstellung davon erzeugt, wie hart das Geld verdient wird. Der Rückbau von Verwöhntheit ist die größte emotionale Herausforderung, die man einem Menschen stellen kann.
IZ: Aber es sind ja nicht alle so drauf, oder?
Wiese: Nein, zum Glück nicht. Wir haben seit Jahrzehnten an einem positiven Arbeitgeber-Image gearbeitet. Flache Hierarchien, interessante Projekte, respektvoller und kollegialer Umgang. Diese Praxis, die bei uns wirklich gelebt wird, zahlt sich langfristig aus. Viele unserer Mitarbeiter sind aufgrund unseres guten Rufs als Arbeitgeber aktiv auf uns zugekommen und haben sich initiativ beworben.
IZ: Da sind wir wieder bei Ihrem Kritikpunkt: die mangelnde Verantwortung der Branche für die eigenen Mitarbeiter. Wie gehen Sie in Ihrem Unternehmen damit um?
Wiese: Ich bin jetzt Mitte 60 und leite seit fast vier Jahrzehnten mein eigenes Planungsbüro mit rund 30 Mitarbeitern. Ich bin ein sehr planender Mensch und habe vor fünf Jahren damit begonnen, mich intensiv mit dem Thema Nachfolgeregelung zu beschäftigen, denn das ist in meinen Augen eine der wichtigsten Aufgaben der älteren Generation. Leider weichen viele Unternehmer in unserer Branche dieser Thematik aus. Es wird immer viel über den eigenen Exit geredet. Aber nur wer sein Ziel kennt, weiß, wie er es erreichen kann.
IZ: Und was ist Ihr Ziel?
Wiese: Ich wollte jedenfalls nicht bis Mitte 70 weitermachen. Also bin ich vor vier Jahren zur Architektenkammer gegangen und habe gesagt: Ich suche einen Nachfolger.
IZ: Und die Kammer ist dafür die richtige Anlaufstelle?
Wiese: Ja, dort kann jedes Mitglied eine Annonce schalten, um Nachfolger zu suchen. Das muss in der Außendarstellung sehr zielgenau erfolgen, sonst kann das bei den Kunden den Eindruck erwecken, dass das Unternehmen bald nicht mehr besteht. Über die Annonce habe ich jedenfalls zwei Partner eines Büros aus meiner Heimatstadt Aachen gefunden, die rund 20 Jahre jünger sind als ich. Bei denen habe ich gemerkt, dass es passen kann.
IZ: Wie ging es dann weiter?
Wiese: Wir haben mehrere Modelle der Betriebsübergabe durchgespielt. Dabei haben wir auf verschiedene Berater zurückgegriffen, von Steuerberatern, Anwälten bis hin zum Notar. Wir haben uns mit dem Prozess Zeit gelassen, denn so ein Thema muss wachsen. Letztlich haben wir uns für einen gleitenden Übergang entschieden.
IZ: Wie läuft so etwas ab?
Wiese: Das ist ein schleichender Prozess. Ich bleibe vorerst aktiv und nehme weiter Aufträge an, aber im Hintergrund wird mehr und mehr Arbeit an die Nachfolger übergeben. Und mit der Übergabe der Arbeiten wechseln auch die zuständigen Mitarbeiter schrittweise hinüber ins neue Unternehmen.
IZ: Funktioniert das so einfach, ohne Reibungsverluste?
Wiese: Man muss loslassen können. Ein Mensch, der etwas Liebgewonnenes abgeben möchte, sollte reflektiert sein und darf sich nicht als Nabel der Welt sehen. Die Nachfolger machen eben vieles anders, aber deswegen ja nicht falsch. Das muss ich als Chance zur Veränderung für das Unternehmen begreifen und tolerieren. Insgesamt ist es aber eine sehr spannende Sache für alle Beteiligten und bringt am Ende große
Erleichterung, weil eine Lösung gefunden wurde.
IZ: Wäre ein direkter Verkauf nicht einfacher gewesen? Dann wäre alles auf einen Schlag gelöst gewesen.
Wiese: Ja. Aber das war nicht mein Ziel. Es ging mir um einen möglichst reibungslosen Übergang ohne harten Bruch und ohne den Verlust von Arbeitsplätzen. Ich glaube das haben wir erreicht.
IZ: Und wie bereiten Sie den Prozess vor? Reden hilft wahrscheinlich meistens?
Wiese: Reden hilft immer, gerade auch innerhalb des eigenen Unternehmens. Mitarbeiter zu führen, das ist ein richtig hartes Geschäft. Jeder Chef sollte sich bemühen, täglich das Gespräch mit seinen Leuten zu suchen. Das habe ich stets getan und werde es bis zum Schluss so halten.
IZ: Herr Wiese, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ulrich Schüppler.