Digitalisierung allein löst gar nichts
Wenn die Digitalisierung menschlichen Kontakt überflüssig machen würde, hätte sich wohl niemand über die Mipim-Messeverschiebung beklagen müssen. Der Aachener Architekt und Großprojektmediator Walter Wiese erzählte der IZ in Cannes, warum er technologische Lösungen für sinnlos hält, wenn sie die zwischenmenschliche Kommunikation vernachlässigen.
“Ich habe 45 Jahre Erfahrung mit Immobilienprojekten“, berichtet der 62-jährige Wiese im nahezu verwaisten caffé Roma in Cannes. „Und die Probleme sind immer dieselben: die Abstimmung zwischen den Beteiligten stimmt oft einfach nicht.“ Nach einer handwerklichen Ausbildung und einer Tätigkeit als Bauzeichner studierte Wiese Architektur und leitet seit Jahrzehnten sein eigenes Büro.
Aus einer persönlichen Lebenskrise heraus ließ er sich am Alfred-Adler-Institut zudem zum Individualpsychologen ausbilden. Vor über zehn Jahren entwickelte sich daraus für ihn ein ganz neues Geschäftsfeld: Er coacht Unternehmen als Mediator bei großen Immobilienprojekten. Denn dort funktioniert nichts mehr, wenn zwischen den Beteiligten Funkstille herrscht.
Digitalisierung ersetzt nicht die Fähigkeit, richtig zuzuhören
Eigentlich wollte Wiese in Cannes seine Kunden treffen. „Ich komme mit meiner Frau jedes Jahr zur Mipim nach Cannes“, erzählt er weiter. Die Kosten für Flug und Unterbringung hätte er ohnehin gehabt. Jetzt hat er viel Zeit über seine Lebensphilosophie zu berichten, denn seine Kunden sind größtenteils daheim geblieben: „Wenn der Architekt sich nur als Künstler sieht, der Handwerker schnell seinen Auftrag abarbeiten will und der Investor lediglich auf die Rendite schaut, dann kann ein Projekt leicht scheitern.“ Wichtig sei es, stets zuzuhören, was der andere will. „Statt Lage, Lage, Lage sollte es heißen: Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation!“
Und was hält jemand mit so viel Branchen- und Lebenserfahrung wie Walter Wiese von den Segnungen der Digitalisierung, die immerhin das Titelthema der IZ-Sonderausgabe (Investing in Germany) zur Mipim bildet? „Digitalisierung allein löst gar nichts“, ist Wiese überzeugt. Nur digital Zuständigkeiten in einem Projekt zu verteilen, das bringe wenig. „Und eine 3D-Planung nutzt dem Architekten wenig, wenn er kein räumliches Vorstellungsvermögen hat“, fügt er hinzu. Um das zu schulen, wünscht sich Wiese vom Nachwuchs vor allem mehr Praxiserfahrung auf dem Bau.
Technische Lösungen können Ängste auslösen
Den menschlichen Faktor betont auch Elisa Rönkä, Product Portfolio Manager Smart Office bei Siemens Europe. Sie ist nicht in Cannes, das geplante Gespräch nimmt sie aber gern per Telefon wahr. Sie ist überzeugt, dass diejenigen Unternehmen beim Rennen um die besten Nachwuchstalente die Nase vorn haben, die das angenehmste Arbeitsumfeld bieten. Dazu könne die Smart Office-Technologie einen entscheidenden Beitrag leisten.
Doch gerade beim Thema Datensicherheit sei die Psychologie oft wichtiger als die technischen Aspekte. „Auf der einen Seite müssen die regulatorischen Vorschriften eingehalten werden“, sagt Rönkä mit Blick auf das digital vernetzte Büro. „Auf der anderen Seite müssen wir Büronutzer durch einen Prozess begleiten, bei dem wir auf ihre Bedenken eingehen. Dieser menschliche Aspekt ist meines Erachtens sogar noch anspruchsvoller als die technologischen Herausforderungen.“
Ein Beitrag auf www.iz.de
vom 11. März 2020
von Ulrich Schüppler
- Published in 2020